Systemische Familientherapie: Wie läuft sie ab und wie kann sie helfen?
- Christian Asperger
- 17. Apr.
- 8 Min. Lesezeit
Familien sind lebendige Netzwerke – sie schenken uns Geborgenheit, bergen aber auch Konflikte und Spannungen. Wenn Missverständnisse sich häufen oder Krisen festfahren, hilft systemische Familientherapie, neue Perspektiven zu finden. Der Kernansatz: Probleme entstehen nicht in Einzelpersonen, sondern im Zusammenspiel aller. Die Therapie hilft, diese Muster zu erkennen und positiv zu verändern.
"In der systemischen Therapie geht es nicht darum, den Menschen zu verändern, sondern das System, in dem er lebt."

Das Wichtigste in Kürze
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Überblick:

1. Was ist systemische Familientherapie?
Systemische Familientherapie ist ein psychotherapeutischer Ansatz, der nicht das einzelne Familienmitglied, sondern das Beziehungsgeflecht der Familie in den Mittelpunkt stellt.
Die Grundidee: Probleme entstehen nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit anderen – etwa durch festgefahrene Rollen, Kommunikationsmuster oder unausgesprochene Erwartungen.
Kurz gesagt:
Familie wird als dynamisches System verstanden.
Symptome gelten als Ausdruck von Spannungen im System, nicht als Störung „einer Person“.
Ziel ist es, neue Sichtweisen und Lösungen gemeinsam zu entwickeln.
Dabei geht es weniger um Schuld oder Ursachen – sondern darum, wie Veränderung im Miteinander möglich wird.
2. Historischer Hintergrund und Entwicklung
Die Anfänge der Familientherapie liegen in den 1950er-Jahren in den USA. Forscher wie Gregory Bateson oder Virginia Satir waren Pioniere der Idee, dass psychische Symptome im Kontext sozialer Interaktionen zu verstehen sind.
Einflüsse kamen aus der:
Systemtheorie (Norbert Wiener, Kybernetik)
Kommunikationstheorie (Paul Watzlawick)
Humanistischen Psychologie
Psychoanalyse, später ergänzt durch konstruktivistische und narrative Ansätze
In Europa entwickelten u. a. die Mailänder Gruppe (Mara Selvini Palazzoli) und die Heidelberger Schule (Helm Stierlin) die systemische Familientherapie entscheidend weiter.

3. Wie funktioniert systemische Familientherapie? 5 einfache Grundprinzipien
Familientherapie ist wie ein Mobile: Bewegt man ein Teil, gerät alles in Fluss. Genau so arbeitet die systemische Therapie – sie schaut nicht nur auf Einzelne, sondern auf das ganze Beziehungsgeflecht.
1. Systemisches Denken: Alles hängt zusammen
In Familien beeinflussen sich alle gegenseitig
Probleme sind selten "Schuld" einer Person
Beispiel: Ein schweigender Vater, eine überforderte Mutter, ein "auffälliges" Kind – wer reagiert auf wen?
2. Ressourcen- und Lösungsorientierung: Stärken nutzen statt Schwächen suchen
Was klappt trotz allem gut?
Welche Fähigkeiten hat die Familie schon?
"Sie haben es bis hierher geschafft – was hat geholfen?"
3. Zirkularität und Mehrperspektivität: Die Kunst, anders zu fragen
"Was würde Oma zu dieser Situation sagen?"
"Wenn Ihr Bruder hier wäre – was würde er vorschlagen?"
Solche Fragen öffnen neue Blickwinkel
Therapeut:innen geben keine fertigen Lösungen
Sie unterstützen die Familie, eigene Wege zu finden
Wie ein Reisebegleiter statt wie ein Navi
5. Wirklichkeitskonstruktion: Geschichten verändern
"Bei uns ist immer alles schlimm!" – Wirklich?
Neue Erzählungen ermöglichen neues Handeln
"Erinnern Sie sich an Momente, wo es anders war?"
"Jede Familie trägt ihre Lösung bereits in sich – manchmal braucht sie nur einen Spiegel, um sie zu erkennen." (systemische Grundhaltung)
4. Für wen eignet sich systemische Familientherapie?
Systemische Familientherapie kann in vielen Situationen unterstützen – nicht nur bei akuten Krisen, sondern auch bei wiederkehrenden Spannungen oder festgefahrenen Mustern.
Typische Anlässe:
Kommunikationsprobleme und Missverständnisse
Wenn Gespräche festgefahren sind, wichtige Themen nicht mehr angesprochen werden oder es regelmäßig zu Konflikten kommt – zum Beispiel zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern.
Anhaltende Konflikte, Rückzug oder belastende Rollenverteilungen
Wenn sich jemand zurückzieht, sich überfordert fühlt oder eine bestimmte Rolle immer wieder ungewollt übernimmt – etwa das „starke Kind“, der „verantwortliche Elternteil“ oder der „Sündenbock“.
Trennung, Scheidung oder familiäre Übergänge
Therapie unterstützt Familien dabei, Trennungen zu verarbeiten, neue Familienkonstellationen zu gestalten oder Kinder gut durch Übergangsphasen zu begleiten.
Krankheit, Verlust oder psychische Belastungen
Ob körperliche Erkrankung, Depression, Sucht oder der Tod eines Angehörigen – solche Themen wirken sich auf das ganze Familiensystem aus und brauchen oft einen geschützten Rahmen zur Verarbeitung.
Patchwork-Familien und Loyalitätskonflikte
Neue Partner, alte Verletzungen, unausgesprochene Erwartungen – in Patchwork-Systemen entstehen oft Spannungen, die sich gut im systemischen Rahmen bearbeiten lassen.
Kulturelle oder generationelle Spannungen
Unterschiedliche Werte, religiöse Vorstellungen oder familiäre Traditionen führen nicht selten zu Reibung – vor allem zwischen Generationen. Auch hier kann Therapie helfen, Verständnis aufzubauen.
Nicht nur für „Problemfamilien“
Systemische Familientherapie eignet sich auch zur Prävention oder zur bewussten Gestaltung von Beziehungen. Gerade in Übergangsphasen – wie der Geburt eines Kindes, dem Auszug von Jugendlichen oder der Pflege älterer Angehöriger – bietet sie Orientierung und Unterstützung.
Auch für Paare, Ehepaare und Einzelpersonen geeignet
Systemische Methoden sind nicht auf Gruppensettings beschränkt. Viele Themen lassen sich auch in Einzel- oder Paargesprächen gut bearbeiten – etwa bei familiären Loyalitätskonflikten, Entscheidungsfragen oder belastenden Beziehungsdynamiken.

5. Welche Ziele hat systemische Familientherapie?
Systemische Familientherapie fördert Verständnis, zeigt Beziehungsmuster auf und unterstützt bei gemeinsamen Lösungen – ohne Schuldzuweisungen.
Zentrale Ziele im Überblick:
Wahrnehmung und Verständnis füreinander fördern Oft sehen Familienmitglieder nur noch ihre eigene Perspektive. Die Therapie hilft dabei, die Sichtweisen aller Beteiligten zu verstehen – ohne Bewertung, sondern mit echtem Interesse.
Problemmuster erkennen und verändern Viele Konflikte verlaufen nach immer gleichen Mustern. In der Therapie werden diese Muster sichtbar gemacht und gezielt unterbrochen, um Raum für neue Wege im Umgang miteinander zu schaffen.
Verantwortung übernehmen – und abgeben, wo nötig Ein Ziel ist es, die Verantwortlichkeiten innerhalb des Systems neu zu ordnen: Wer trägt vielleicht zu viel? Wer könnte mehr Verantwortung übernehmen? Es geht um eine gesunde Balance – nicht um Kontrolle oder Schuld.
Kommunikation verbessern Missverständnisse und unausgesprochene Erwartungen belasten oft die Beziehung. Systemische Therapie fördert einen offenen, respektvollen Dialog und stärkt die Fähigkeit, auch schwierige Themen konstruktiv anzusprechen.
Präventiv handeln, bevor Konflikte sich verfestigen Therapie kann auch dann sinnvoll sein, wenn Probleme noch nicht eskaliert sind. Sie hilft, frühzeitig Ungleichgewichte zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln – bevor sich Konflikte chronisch verfestigen.
6. Wie läuft eine systemische Familientherapie ab? Die 4 Phasen
Erstgespräch
Ihr lernt den Therapeuten kennen und schildert eure Situation – ganz ohne Druck. Gemeinsam besprecht ihr, ob die Chemie stimmt und was ihr als Ziele gemeinsam erreichen möchtet.
Systemanalyse (2-4 Sitzungen)
Der Therapeut erkundet mit euch: Wie kommuniziert ihr? Welche Rollen haben sich eingeschlichen? Dabei kommen oft überraschende Muster ans Licht.
Aktive Veränderungsphase (5-12 Sitzungen)
Jetzt wird gearbeitet – mit kreativen Methoden wie: • Familienskulpturen (Beziehungen "sichtbar" machen) • Zirkulären Fragen ("Was würde dein Bruder dazu sagen?") • Kleinen Hausaufgaben für den Alltag
Abschluss & Stabilisierung
Ihr festigt eure neuen Muster und feiert Erfolge. Viele Familien brauchen nur 10-15 Sitzungen – manchmal reichen sogar weniger.
7. Beispiel-Erfolgsgeschichten aus der Familientherapie
Wie Familie M. wieder zueinanderfand
Die ständigen Streits zwischen Lara (15) und ihren Eltern eskalierten – bis sie sich für eine systemische Familientherapie entschieden. Schon nach wenigen Sitzungen erkannten sie: Laras Rückzug war kein Teenager-Trotz, sondern eine Reaktion auf unausgesprochene Spannungen zwischen den Eltern. Durch gezielte Kommunikationsübungen und Rollenspiele fanden sie neue Wege des Miteinanders. Heute sagen sie: "Die Therapie hat uns gezeigt, wie wir Konflikte ohne Vorwürfe klären – unser Familienklima ist jetzt viel entspannter!"
Patchwork-Familie findet gemeinsamen Rhythmus
Die Familie S. (Mutter, neuer Partner, zwei Kinder aus erster Ehe) kämpfte mit Loyalitätskonflikten und Haushaltsstreits. In der Therapie entdeckten sie, wie unbewusste "Wir gegen dich"-Muster den Alltag vergifteten. Durch wöchentliche Familienkonferenzen und klare Rollenverteilung entstand allmählich ein neues "Wir-Gefühl". Besonders die Skulpturarbeit half dem Partner, sich als unterstützend (nicht eindringend) zu positionieren.
Vater-Sohn-Konflikt löst sich auf
Der 14-jährige Tim verweigerte seit Monaten die Schule – klassische Einzeltherapie blieb erfolglos. Erst die systemische Familientherapie zeigte: Tim übernahm unbewusst die Rolle des "Problems", um die Aufmerksamkeit vom Alkoholproblem des Vaters abzulenken. Als der Vater seine Sucht eingestand und die Eltern gemeinsam Verantwortung übernahmen, normalisierte sich Tims Verhalten innerhalb von 8 Wochen von selbst.
8. Vorteile der systemischen Familientherapie:
Ganzheitlicher Ansatz: Statt einzelne Personen isoliert zu betrachten, wird das gesamte Familiensystem mit seinen Wechselwirkungen in den Blick genommen.
Lösungsfokussiert: Im Mittelpunkt stehen nicht Probleme, sondern vorhandene Ressourcen und mögliche Lösungswege.
Stärkung der Beziehungen: Durch den Fokus auf Interaktionsmuster wird das "Wir-Gefühl" gestärkt, anstatt Schuldzuweisungen zu machen.
Nachhaltige Wirkung: Veränderungen wirken auf das gesamte System und bleiben oft langfristig erhalten.
Individuelle Methoden: Von Skulpturarbeit bis zu zirkulären Fragen - die Techniken werden passgenau ausgewählt.
Praxistauglich: Die erarbeiteten Lösungen sind konkret im Alltag anwendbar.
Zeiteffizient: Oft zeigen sich schon nach wenigen Sitzungen spürbare Verbesserungen.

9. Fazit: Systemisch denken – gemeinsam wachsen
Systemische Familientherapie bietet einen ganzheitlichen, wertschätzenden Blick auf familiäre Beziehungen. Sie hilft dabei, festgefahrene Muster zu erkennen, Kommunikation zu verbessern und neue Lösungen gemeinsam zu entwickeln – nicht durch Schuldzuweisung, sondern durch Verständnis, Perspektivwechsel und konkrete Veränderungsschritte.
Ob in Krisen oder zur bewussten Beziehungsarbeit: Sie kann eine wirksame Unterstützung sein, um als Familie wieder in Verbindung zu kommen.
10. FAQ – Häufige Fragen zur systemischen Familientherapie
Was macht systemische Familientherapie?
Sie unterstützt Familien dabei, ihre Beziehungen zu reflektieren, Muster zu erkennen und neue Wege im Miteinander zu entwickeln – auf Basis von Ressourcen, Kommunikation und gegenseitigem Verständnis.
Was ist der systemische Ansatz der Familientherapie?
Was sind die 4 Phasen der Familientherapie?
Was ist das Ziel der systemischen Therapie?
Wann macht eine Familientherapie Sinn?
Wer sollte an einer Familientherapie teilnehmen?
Wie lange dauert eine systemische Familientherapie?
Muss ich in einer systemischen Familientherapie alle Themen meiner Kindheit und Familie bearbeiten?
10. Über mich - Paartherapeut Mag. Christian Asperger in Wien

Als systemischer Coach und Psychotherapeut biete ich systemische Psychotherapie / systemische Familientherapie an und begleite sie gerne in Einzeltherapie oder Paartherapie.
Im Fokus stehen dabei Aspekte der psychischen Gesundheit, des Wohlbefindens, der persönlichen Resilienz, der individuellen Gestaltung des eigenen Lebens sowie Themen und Konflikte in der Partnerschaft und der Familie. Kontaktieren Sie mich gerne über mein Kontakformular ganz unten auf dieser Seite, oder buchen Sie direkt ein Erstgespräch, bei dem wir uns kennenlernen. Lernen Sie mich und meine Arbeit erstmal kennen und klicken Sie hier.
Weitere Quellen
DGSF – Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und FamilientherapieUmfassende Informationen zur systemischen Familientherapie, einschließlich Definitionen, Methoden und Anwendungsbereichen.https://dgsf.org/service/was-heisst-systemisch/familientherapie-systemische_therapie.html
Systemische Gesellschaft (SG) – MethodenübersichtDetaillierte Darstellung verschiedener systemischer Methoden, wie zirkuläres Fragen, Reframing und Familienskulpturen.https://systemische-gesellschaft.de/systemischer-ansatz/was-ist-systemisch/methoden/Wikipedia – Die freie Enzyklopädie+1Therapie.de+1
Therapie.de – Methoden der FamilientherapieErläuterung typischer Methoden der systemischen Familientherapie mit praktischen Beispielen.https://www.therapie.de/psyche/info/therapie/familientherapie/methoden-familientherapie/
NetDoktor – Familientherapie: Ablauf und WirkungAllgemeine Einführung in die Familientherapie, ihre Ursprünge, den Ablauf und die Wirkungsweise.https://www.netdoktor.de/therapien/psychotherapie/familientherapie/
Wikipedia – Systemische FamilientherapieUmfassender Überblick über die Geschichte, Methoden und theoretischen Grundlagen der systemischen Familientherapie.https://de.wikipedia.org/wiki/Systemische_FamilientherapieWikipedia – Die freie Enzyklopädie+1Amazon+1
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