In meiner Arbeit als systemischer Paartherapeut stoße ich immer wieder auf bestimmte Beziehungsmuster, die besonders häufig zu Spannungen oder Konflikten führen. Diese Dynamiken entstehen nicht bewusst, sondern sind oft tief in den individuellen Erfahrungen und der Interaktion zwischen den Partnern verwurzelt. Sie lassen sich jedoch erkennen, verstehen und verändern. Hier möchte ich einige der häufigsten Muster beschreiben.
Systemische Perspektive auf Gegensätze
In Paarbeziehungen treten oft grundlegende Unterschiede in Werten, Bedürfnissen und Präferenzen auf, die auf den ersten Blick unvereinbar erscheinen. Aus systemischer Sicht sehen wir diese Gegensätze nicht als fixe Eigenschaften, sondern als dynamische Prozesse, die von individuellen Prägungen, Lebensgeschichten und den Interaktionen im Paar beeinflusst werden.
Konflikte entstehen häufig, wenn:
Die Gegensätze polarisiert werden: Beide Partner verharren in Extremen (z. B. einer ist nur großzügig, der andere nur sparsam).
Unbewusste Loyalitäten wirken: Verhalten wird durch tieferliegende Muster aus der Herkunftsfamilie gesteuert, z. B. eine stark strukturierte Kindheit, die einen Drang nach Spontanität oder Ordnung erzeugt.
Die Unterschiede als Bedrohung wahrgenommen werden: Statt die Gegensätze als Chance zur Ergänzung zu sehen, fühlen sich Partner in ihrer Identität infrage gestellt.
Nachfogend ein Musterkatalog mit den häufig dabei auftretenenden Verhaltensmustern in Paarbeziehungen.
Autonomie vs. Bezogenheit
Typisches Muster: Nähe-Distanz-Dynamik
Beispiel aus der Praxis: Lisa möchte mehr Zeit mit ihrem Partner Daniel verbringen, etwa gemeinsame Abende oder Urlaube. Daniel fühlt sich durch Lisas Wünsche oft eingeengt und zieht sich zurück, verbringt mehr Zeit mit seinen Hobbys oder Freunden. Lisa reagiert darauf mit Vorwürfen („Warum willst du nie Zeit mit mir verbringen?“), was Daniel noch weiter auf Distanz bringt.
Systemische Perspektive
Dieses Muster kann durch unterschiedliche Bindungserfahrungen aus der Kindheit geprägt sein: Vielleicht hat Lisa das Gefühl von Sicherheit durch enge Beziehungen gelernt, während Daniel Autonomie als Schutzmechanismus entwickelt hat.
Lösungsansatz
Daniel kann Lisas Wunsch nach Nähe würdigen, ohne seine Freiräume aufzugeben. Zum Beispiel durch verbindliche „Nähe-Zeiten“ (z. B. ein fixer Date-Abend in der Woche).
Lisa könnte lernen, Daniels Rückzug nicht als Ablehnung zu deuten und selbst Aktivitäten zu finden, die ihr unabhängig von ihm Freude bereiten.
Kreativität vs. Ordnung
Typisches Muster: Unvereinbare Ansprüche an den Alltag
Beispiel aus der Praxis: Jana liebt es, ihren Wohnraum kreativ umzugestalten und immer wieder neue Projekte anzufangen, wie Wände bunt zu streichen oder Möbel zu verändern. Ihr Partner Michael schätzt eine klare Struktur und wird durch Janas spontane Veränderungen gestresst. Er fragt genervt: „Können wir nicht einmal die Dinge so lassen, wie sie sind?“ Jana fühlt sich missverstanden und nicht wertgeschätzt.
Systemische Perspektive
Hier treffen unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander: Michael sucht Stabilität, während Jana sich durch Veränderungen lebendig fühlt. Beide Partner stehen unbewusst für verschiedene Bedürfnisse des Systems: Beständigkeit und Entwicklung.
Lösungsansatz
Jana und Michael könnten festlegen, welche Bereiche des Haushalts frei für Janas Kreativität sind (z. B. ihr Arbeitszimmer), während andere stabil bleiben.
Michael könnte von Jana lernen, wie kleine kreative Impulse (z. B. neue Deko) auch bereichernd sein können.
Großzügigkeit vs. Sparsamkeit
Typisches Muster: Konflikte über Finanzen
Beispiel aus der Praxis: Sarah gibt gern Geld für Erlebnisse aus, etwa für Reisen, Essen mit Freunden oder spontane Geschenke. Ihr Partner Tobias ist sparsam und legt jeden Monat einen festen Betrag zurück. Tobias wirft Sarah vor, „leichtsinnig“ zu sein, während Sarah ihn als „geizig“ empfindet. Ein typischer Streitpunkt ist der Urlaub: Sarah will spontan eine Fernreise buchen, Tobias möchte lieber eine günstigere Alternative planen.
Systemische Perspektive
Häufig liegen hinter diesen Verhaltensweisen emotionale Prägungen: Vielleicht hat Tobias in seiner Kindheit finanzielle Unsicherheit erlebt und sucht durch Sparsamkeit Stabilität. Sarah könnte dagegen gelernt haben, dass Geld Glück und Freude ermöglicht.
Lösungsansatz
Sarah und Tobias können gemeinsam ein Budget festlegen: Ein Teil wird für langfristige Ziele gespart, während ein anderer Teil für spontane Ausgaben oder Erlebnisse genutzt wird.
Tobias könnte reflektieren, ob sein Sicherheitsstreben in allen Situationen nötig ist, während Sarah prüfen könnte, ob ihre Großzügigkeit manchmal zur Ablenkung von unangenehmen Gefühlen dient.
Planbarkeit vs. Spontanität
Typisches Muster: Konflikte über Zeitmanagement
Beispiel aus der Praxis: Julia plant Wochenenden gerne detailliert im Voraus, inklusive Restaurantreservierungen, Zeitplänen und Aktivitäten. Ihr Partner Tom hingegen liebt spontane Unternehmungen und fühlt sich durch Julias Planungsdrang unter Druck gesetzt. Als Julia wiederholt enttäuscht ist, dass Tom ihre Pläne ignoriert, wirft sie ihm vor: „Du bist so unzuverlässig!“ Tom reagiert gereizt: „Du musst immer alles kontrollieren!“
Systemische Perspektive
Julia könnte durch Planbarkeit ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit suchen, während Tom in seiner Spontaneität Freiheit und Lebendigkeit findet. Beide Ansätze sind wertvoll, aber sie müssen ausgeglichen werden.
Lösungsansatz
Julia könnte einen Rahmen schaffen, in dem Spontaneität Platz hat, z. B. nur grobe Zeitfenster festlegen, statt detaillierte Pläne zu machen.
Tom könnte sich bewusst an bestimmten geplanten Aktivitäten beteiligen, um Julias Bedürfnis nach Verlässlichkeit zu würdigen.
Wann wird es zu Machtkämpfen?
In allen genannten Beispielen kann es zu Machtkämpfen kommen, wenn:
Unterschiede nicht gewürdigt werden: Statt die Gegensätze als Chance zur Ergänzung zu sehen, versucht ein Partner, seinen Ansatz durchzusetzen.
Negative Zuschreibungen überwiegen: Der ordnungsliebende Partner wird als „kontrollierend“, der kreative als „chaotisch“ abgewertet.
Emotionale Verletzungen eskalieren: Die Konflikte schaukeln sich hoch, weil sich keiner gesehen oder wertgeschätzt fühlt.
Wie Paare aus dem Kreislauf aussteigen können
Erkennen und benennen: Sich bewusst machen, dass es um Werte und Bedürfnisse geht, nicht um „richtig“ oder „falsch“.
Gemeinsame Ziele definieren: Was will das Paar als Einheit erreichen? Wie können die Unterschiede dabei als Ressource genutzt werden?
Muster durchbrechen: In Konfliktsituationen innehalten und die Perspektive des anderen einnehmen. Was versucht der Partner mit seinem Verhalten zu schützen oder zu erreichen?
Externe Unterstützung: Wenn die Gegensätze unüberwindbar erscheinen, kann ein systemischer Blick von außen helfen, die Dynamik zu entschärfen und neue Lösungen zu finden.
Fazit
Gegensätze wie Autonomie und Bezogenheit oder Kreativität und Ordnung sind keine Schwächen in einer Beziehung, sondern potenzielle Stärken. Sie fordern Paare dazu heraus, sich gegenseitig besser zu verstehen und voneinander zu lernen. In einem wertschätzenden Rahmen können sie zu einem Motor für Wachstum und Intimität werden – wenn Machtkämpfe durch bewusste Kommunikation ersetzt werden.
Den ersten Schritt zu machen, ist oft der wichtigste.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.
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