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Der Kinderwunsch als Brennpunkt: Machtspiele und emotionale Konflikte in der Beziehung

Autorenbild: Christian AspergerChristian Asperger

In meiner Praxis als systemischer Paartherapeut erlebe ich oft Konflikte, die aus unterschiedlichen Vorstellungen über Familienplanung, Machtverhältnisse und individuelle Selbstbestimmung resultieren. Ein besonders eindrucksvolles Fallbeispiel verdeutlicht diese Themen eindrucksvoll und regt zur Reflexion über die eigene Lebenssituation an.


Paar liegt abgewandt voneinander im Bett

Das Fallbeispiel: Wenn der Kinderwunsch zur Machtfrage wird: Emotionale Konflikte in der Partnerschaft


Maria und Thomas sind seit 10 Jahren verheiratet und haben bereits ein Kind. Während Maria den vehementen Wunsch nach einem zweiten Kind äußert, hat Thomas Bedenken und ist kategorisch gegen eine erneute Schwangerschaft. Diese Divergenz schafft nicht nur emotionale Spannungen, sondern vertieft auch ein schon bestehendes Gefühl von Ungerechtigkeit und Abhängigkeit.


Thomas verdient erheblich mehr als Maria, was Marias Empfinden der Ohnmacht weiter verstärkt. Ihre Unsicherheit in der Bezugnahme auf finanzielle Aspekte hat nicht nur persönliche Auswirkungen, sondern spiegelt auch familiäre Prägungen wider.


Der Konflikt um den Kinderwunsch: Ein „Ja oder Nein“


Der Kinderwunsch stellt in dieser Beziehung eine besondere Herausforderung dar. Es handelt sich nicht um eine Verhandlung über „ein halbes Kind“ oder „ein dreiviertel Kind“; vielmehr steht eine fundamentale Entscheidung im Raum: „Ja“ oder „Nein“ zu einem weiteren Kind. Dies verdeutlicht, wie sehr der Macht- und Abhängigkeitsdiskurs zwischen Maria und Thomas über Verlangen und Ablehnung hinausgeht. Marias Wunsch und Thomas' Gegenargumente sind tief verwurzelt in ihren jeweiligen biografischen Hintergründen.


Maria fühlt sich in ihrer Rolle häufig ausgeliefert und erlebt Ohnmacht – Gefühle, die sich schnell in Wut verwandeln können. Diese Wut äußert sich in Konflikten mit Thomas, die oft auf verschiedenen Ebenen stattfinden: zwischen den beiden, aber auch in anderen Lebensbereichen, wo sie die ihm zugeschriebene Macht in Frage stellt. Für Thomas, der trotz seiner Bemühungen immer wieder in ein Gefühl der Schuld gerät, wird die Diskussion zum emotionalen Balanceakt: Egal was er tut, er hat das Gefühl, es seiner Partnerin nicht recht machen zu können. Auch hier sind die familiären Wurzeln entscheidend – Thomas' Erfahrungen und Prägungen können dazu führen, dass er ein Gefühl der Ohnmacht verspürt, weil er die Bedürfnisse seiner Frau nicht erfüllen kann


Der Vulnerability-Kreislauf: Ein Teufelskreis


Ein zentraler Aspekt in der Dynamik von Maria und Thomas ist der sogenannte Vulnerarbilitäs-Kreislauf, ein Konzept, das aufzeigt, wie Verletzungen und Kränkungen in Beziehungen perpetuiert werden. Wenn Maria sich verletzt fühlt, ist es ihre Überlebensstrategie, ihre Wut zu zeigen, um ihre Ohnmacht zu kompensieren. Diese emotionale Verteidigung führt jedoch häufig dazu, dass Thomas sich zurückzieht oder defensiv wird, was wiederum Marias Verletzung verstärkt.


Beide Partner verfangen sich in einem Teufelskreis: Marias aggressive Reaktion auf ihre Ohnmacht verletzt Thomas, der seinerseits auf die Kränkung mit Rückzug reagiert – und so verstärken sie sich gegenseitig in ihrer emotionalen Isolation. Hierdurch wird es für beide zunehmend schwieriger, Empathie für die Bedürfnisse des anderen aufzubringen.


Paartherapeut Mag. Christian Asperger


Wege zur Unterbrechung des Kreislaufs


Um diesen Kreislauf der Verletzungen und Ohnmacht zu durchbrechen, ist es entscheidend, Bewusstsein und Empathie im Paarprozess herzustellen. Hier sind mehrere Ansätze, die wir in der Therapie besprochen haben:


1. Offene und respektvolle Kommunikation: Ein Kommunikationsraum, in dem beide Partner ohne Angst vor Verurteilung ihren inneren Konflikt und ihre Bedürfnisse äußern können, ist essenziell. Es könnte hilfreich sein, Gespräche mit „Ich-Botschaften“ zu beginnen, um die eigene Perspektive verständlich zu machen, ohne den anderen anzugreifen.


2. Reflektieren der Herkunftsfamilien: Das gemeinsame Bewusstsein über die eigenen familiären Prägungen und deren Einfluss auf die Beziehung kann beiden Partnern helfen, mehr Verständnis füreinander zu entwickeln. Maria und Thomas sollten ihre Kindheitsmuster erkennen, die ihnen in der gegenwärtigen Situation im Weg stehen.


3. Identifikation von Kompromissbereitschaft: Es gilt, dass beide Partner Kompromisse in ihrer Haltung bezüglich des Kinderwunsches eingehen. Das Muster „entweder – oder“ kann durch kreative Maßnahmen wie das Ausloten anderer Optionen oder die Diskussion von Alternativen erhellt werden.


4. Empathie als Schlüssel: Beide Partner sollten aktiv versuchen, Perspektivwechsel zu vollziehen und den emotionalen Ballast des anderen nachzuvollziehen. Anstatt sich nur auf die eigene Wut zu konzentrieren, ist es wichtig, das Gute in der Partnerschaft wiederzuentdecken und das Verbindende zu stärken.


5. Therapeutische Begleitung: Der Beziehungsprozess kann sehr emotionale Konflikte ans Licht bringen, die professioneller Unterstützung bedürfen. Ein erfahrener Therapeut kann Ihnen helfen, die Dynamiken besser zu verstehen und Lösungen zu finden.



Fazit


Der Umgang mit dem Thema Kinderwunsch offenbart oft komplexe emotionale Dynamiken, insbesondere in Bezug auf Macht, Abhängigkeit und Selbstbestimmung. Die Herausforderungen, die Maria und Thomas erleben, sind nicht nur auf den Kinderwunsch an sich beschränkt, sondern umfassen tiefere emotionale Wunden und familiäre Geschichten. Durch offene Kommunikation, Verständnis für familiäre Prägungen und das Streben nach Empathie können Paare die Schwierigkeiten überwinden, die zu einem Teufelskreis führen.


Wenn Sie ähnliche Konflikte erleben, kann eine Paartherapie Ihnen helfen, Ihre Situation besser zu verstehen und geeignete Lösungen zu finden. Der Weg zur Selbstbestimmung und einer gerechten Partnerschaft ist oft lang, aber nicht unmöglich.


Den ersten Schritt zu machen, ist oft der wichtigste.



* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.

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