Angst beeinträchtigt mich auf unterschiedliche Art und Weise - von einem vagen Unbehagen oder einem Klumpen im Bauch bis zur Schwindel erregenden Panik. Fast so als würde die Welt jeden Moment untergehen. Woher kommt die Angst? Wohin geht sie? Und wie kann ich mit meiner Angst ein gutes Leben führen?
All deine Ängste sind Begleiterscheinung deiner Identifikation. Angst existiert nur in unserem Gehirn. Sie entsteht aus vergangenen, verfestigten Denkmustern und Projektionen auf mögliche Veränderungen in der Zukunft. Diese Angst bezieht sich darauf, dass sich Dinge morgen ändern könnten: ein geliebter Mensch könnte uns verlassen oder gar sterben, wir selbst könnten krank werden oder unseren Job verlieren. Es gibt tausende Gründe, um die Ängste in uns zu nähren, ihnen Raum in uns zu geben oder sie durch körperliche Beschwerden manifestieren zu lassen.
Wie schafft es die Angst mit Ihnen in Kontakt zu treten?
Meine heutige Geschichte handelt von meinem Umgang mit meinen tiefsten Ängsten. Ich, so wie fast jeder von uns, habe bestimmte Dinge oder Umstände, die mir Angst bereiten. Meiner Erfahrung nach kann es manchmal dafür einen klaren Trigger geben, z.B. weil wir als kleines Kind einmal von einem Hund gebissen wurden. Oftmals ist es für uns jedoch nicht so klar und es ist eher ein sehr diffuses Gefühl der Angst, welches uns latent begleitet oder in bestimmten Situationen auf einmal wie eine Welle überschwappt.
In einigen Ratgebern oder auch Therapierichtungen lesen und hören wir, man müsse sich seinen Ängsten nur stellen und das Gefühl des Unbehagens aushalten. In der sogenannten Exposition setzt man sich bewußt Situationen der Angst aus. Dazu lernt man über Skalierungen die Intensität des Angstgefühls einzustufen und entsprechende Skills, wie man in der jeweiligen Situation reagieren könnte, um die innere Anspannung zu reduzieren. Diese Skills können nützliche Ressourcen wie z.B. Duftöle, Musik oder Tätigkeiten sein, die unsere Aufmerksamkeit raus aus der Gedankenspirale der Angst auf das Hier und Jetzt lenken sollen. Diese Ansätze funktionieren meiner Erfahrung nach dann ganz gut, wenn wir selbst die auslösende Situation für unseren Angstkreislauf kennen (z.B. Betreten des Airports bei Flugangst) und die Manifestation der Angst noch nicht zu tief und / oder allgemein generalisiert ist.
Was aber tun wir, wenn wir die auslösende Situation unserer Angst nicht kennen oder wenn die oben beschriebenen Methoden keinen (ausreichenden) Erfolg bringen? Können wir unsere Ängste überhaupt wie ein Kleidungsstück ablegen oder müssen wir uns nun auf ein Leben mit der Angst einstellen?
In meinem Fall kannte ich den auslösenden Faktor für meine tiefste Angst sehr gut. Es war die akut ausgebrochene Leukämie und der anschließend rasche Tod meiner Mutter als ich 13 Jahre alt war. Dieses Ereignis traf mich vollkommen unvorbereitet in meinem Übergang aus einer unbeschwerten Kindheit in eine vollkommen unsichere Entwicklung des jungen Erwachsenenlebens. Natürlich hatte ich in weiterer Folge auch die konkrete Angst meinen Vater oder andere mir nahe stehende, liebe Menschen zu verlieren. Darüber hinaus war es aber auch eine weitergreifende Verlustangst die mich viele, viele Jahre begleitete und auch in anderen Lebensbereichen einschränkte.
Als ich einige Jahre später im Rahmen meiner Psychotherapie-Ausbildung in Selbsterfahrung ging, hatte ich dann die Gelegenheit unterschiedliche Perspektiven auf diese Erfahrungen einzunehmen. Dabei lernte ich auch die Möglichkeiten des Externalisieren meiner Angst. Dies war für mich eine komplett neuer Zugang. Es war nicht mehr meine Angst, sondern es war die Frage, wie die Angst mit mir in bestimmten Situationen in Beziehung treten konnte. Welche Eigenschaften waren es, die die Angst dabei einsetzte? Welcher Dialog entstand zwischen mir und der Angst? Durch die Imagination dieser Beziehungssituation lösten sich in meinen Fall verhärtete Muster und Denkweisen und in weiterer Folge auch körperliche Wahrnehmungen. Neben dieser speziellen Methode aus der narrativen Therapie gab es aber noch viele andere Puzzleteile, die in meinem Fall zu einem anderen Umgang mit der Angst geführt hatten.
Einer dieser wichtigen Beiträge war sicherlich auch der bewusste Fokus auf ein Leben im Hier und Jetzt. Auch diese wichtige Sichtweise wird in zahlreichen Büchern, Seminaren und vor allem asiatischen Lehren aufgegriffen. Was so einfach und nachvollziehbar klingt, ist jedoch gerade in einem von Planung dominierten Leben gar nicht so einfach umzusetzen. Gerade in unserer von Leistung und Erfolg geprägten Gesellschaft lernen wir schon sehr früh uns Ziele zu setzen und für alles mögliche Pläne zu machen: Ausbildung, Job, Familie, Hobbies - so ziemlich alle Lebensbereiche sind davon betroffen. Nur beziehen sich Ziele und davon abgeleitete Pläne immer auf ein Begehren von etwas, das in der Zukunft liegt. Man will einen bestimmten Job, einen attraktiven und fürsorglichen Partner oder die perfekte Wohnung finden. Doch was passiert, wenn man es nicht schafft? Angst taucht auf. Die Angst ist eine Folge des Begehrens. Doch was ist die Alternative? Sich keine Ziele mehr setzen oder immer auf das Gute vertrauen?
Im Rahmen einer Psychotherapie geht es auch darum, sich mit den eigenen Werten, Vorstellungen und damit verbundenen Gefühlen auseinander zu setzen. So individuell wie jeder Einzelne von uns ist, so individuell sind auch die Antworten auf die jeweiligen Fragen. Eines jedoch ist gewiss: ein Leben im Hier und Jetzt im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Gefühlen - auch der Angst - ist für viele Menschen ein wichtiges Ziel.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.
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