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Stärkung der Selbstfreundschaft - 5 hilfreiche Methoden

Aktualisiert: 3. Sept. 2023

In der Verurteilung negativer Aspekte unseres Selbst stärken wir unsere Leidenszustände. Doch wie gelingt die Transformation von einer Selbstfeindschaft hin zu einer Selbstfreundschaft?

Selbstfreundschaft

Biopsychosoziale Leidenszustände werden in vielen Fällen durch negative Aufmerksamkeitsprozesse aufrechterhalten. Indem wir negative Aspekte unseres Selbst verurteilen, bekämpfen und abwerten, bleiben sie im Fokus unserer Aufmerksamkeit. Auf diese Weise werden belastende Erfahrungen latent weiter aktiviert und chronifiziert.


"Wir erzeugen die Welt, in der wir leben, indem wir sie leben."

Erst eine Haltung der Annahme gegenüber bislang abgelehnter Selbstanteile kann eine Veränderung bewirken. Schmerzliche oder schwierige Lebenserfahrungen sind dabei ein wichtiger Hinweis auf unsere Geschichte und Verwundbarkeit, sowie ein Signal für unsere Bedürfnisse. Ähnlich wie gute FreundInnen verdienen sie Aufmerksamkeit, Gehör, Verständnis und Entgegenkommen. Ein Selbstbezug ist freundschaftlich, wenn wir negativen Aspekten unseres Selbst, insbesondere den Symptomen und Schattenseiten, mit Wertschätzung, Respekt und Anerkennung begegnen.


Psychotherapeut Mag. Christian Asperger


Was ist Selbstfreundschaft?


Ein Freund ist jemand, dem wir unsere Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste, Lasten und Bedürfnisse anvertrauen können. Jemand, der uns im Angesicht einer Bedrohung zur Seite steht, zugleich verständnisvoll und kritisch ist, ohne uns zu verurteilen. Jemand, der uns auf das aufmerksam macht, was wir übersehen und Rat gibt, wenn es einen Rat braucht. Einem Freund müssen wir nichts beweisen. Freunde sind fehlerfreundlich aber nicht blind. Wenn wir anderen oder uns selbst Unglück oder Unrecht bereiten, so weist uns ein guter Freund auf unser Handeln und dessen Auswirkungen hin.


Das Gegenstück von Selbstfreundschaft ist Feindschaft oder überhöhte Selbstliebe. Wer früh und wiederholt soziale Erfahrungen macht, ungeliebt, unwillkommen, störend oder belastend zu sein, nimmst dieser Erfahrungen wahrscheinlicher in sein eigenes Selbstverständnis auf. Selbstfeindschaft spiegelt zudem in vielen Fällen nicht nur vergangene, sondern auch aktuelle Beziehungen wieder. Bei überhöhter Selbstliebe hingegen fehlt oftmals eine kritische Wahrnehmung unseres Selbst. Wenn wir uns selbst idealisieren, leiden nicht wir, sondern wir lassen andere an uns leiden.





Fünf Wege um die Selbstfreundschaft zu stärken


Bei den meisten KlientInnen in meiner Praxis dominiert die Thematik der Selbstfeindschaft. Für manche KlientInnen ist die "Freundschaft mit sich selbst" ein zu weit entferntes Konstrukt. Ich versuche dann in der Therapie eine Annäherung zu finden, wie die KlientInnen mit bisherigen negativen Fühl-Denk-Verhalten-Muster eine Art "Waffenstillstand" finden können. Im Prozess haben sich die fünf nachstehenden Methoden als hilfreich erwiesen.


Re-Authoring oder Re-Membering Conversations


Im Kontext der "Re-Authoring Conversations" werden in der Therapie Augenblicke von geringerer Selbstfeindschaft rekonstruiert. Dies ermöglicht die Erkundung jener Bedingungen, unter welchen KlientInnen sich selbst bzw. ihren negativen Anteilen gegenüber wertschätzend und anerkennend begeben können. Im Rahmen von "Re-Membering Conversations" werden positive Modelle sozialer Freundschaftsbeziehung auf die Selbstbeziehung übertragen.


Skalierung


Ein hilfreiches Medium für die Konstruktion von Ausnahmen und Unterschieden im Kontext von Selbstfeindschaft bilden skalierende Fragen. So kann die Intensität der Freundschaft zu sich selbst auf einer Skala von 1 bis 10 eingestuft werden. 1 steht dabei für eine ablehnende Haltung sich selbst gegenüber, 10 wäre Ausdruck einer innigen, herzlichen und wertschätzenden Freundschaft. Durch das Einordnen von Erinnerung oder Ereignissen entlang der Skalierung können so Unterschiede festgemacht werden. In weiterer Folge geht es dann um die Exploration der unterschiedlichen Wahrnehmung und den Gegebenheiten unter denen der Unterschied entstehen konnte.


Positive Externalisierung


Im Zuge der Externalisierung versuche ich mit KlientInnen bestimmte Gefühle (z.B. Ängste) im Körper zu lokalisieren und sie anschließend zu externalisieren. Dabei bitte ich die KlientInnen sich das Gefühl als Gestalt im Raum außerhalb ihres Körpers vorzustellen und in weiterer Folge damit in Kontakt zu treten. Positives Externalisieren ermöglicht, dass problemmassozierte Selbstanteile eine eigene Version ihrer Geschichte erzählen können. Indem KlientInnen diesen Anteilen ihre Stimme leihen, erzählen bisher abgewertete Selbstaspekte von ihren Erfahrungen, Aufgaben, Werten, Zielen, Gedanken, Wünschen, Hoffnungen und Ängsten. Die Anerkennung und Wertschätzung der guten Absicht des Anteils bringt so in manchen Fällen eine Korrektur des Wirklichkeitsverständnisses des Anteils. Negative Selbstaspekte sind in ihrer Entstehung häufig mit biografischen Schlüsselerlebnissen verbunden. Durch die neue Betrachtungsweise kann einerseits eine veränderte Realität anerkannt werden und andererseits können diese Anteile ausgehend von einem biografischen Schlüsselerlebnis der Vergangenheit bis hin zur Gegenwart nachreifen. Eine weitere Option besteht darin, die schützende Funktion abgewerteter Selbstanteile auf andere Zielsetzungen auszurichten (z.B. Alkoholkonsum als Stärkung der sozialen Anerkennung bei Freunden).


Rituale der Selbstvergebung und -versöhnung


Jedes Leben birgt die Erfahrung, dass wir an anderen und / oder uns selbst schuldig werden. Jedes Leben birgt Versäumnisse und Fehler. Jedes Leben birgt Erfahrungen von mangelndem Verständnis für bzw. mit uns selbst. Die Unversöhnlichkeit damit bildet häufig den Rahmen für biopsychosoziale Leidenszustände. Im Rahmen einer Psychotherapie kann bislang Unerzähltes erzählt werden. Dies können erlittene Kränkungen und Verletzungen oder Erzählungen der eigenen Schuld sein. Jenseits eines respektvollen Hörens und Anerkennens von schuld- oder schambesetzten Erfahrungen können auch Rituale der Selbstvergebung hilfreich sein. Rituale beinhalten das Erinnern, Anerkennen und Benennen sowie das Zurückblicken auf die Umstände und Motive eines schuldhaften Handelns. Durch das Markieren des Unterschieds zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kann eine weitere Entlastung eintreten und im weiteren Prozess in das Aussprechen einer Selbstvergebung oder inneren Versöhnung münden.


Ein altes Sprichwort besagt: geteiltes Leid ist halbes Leid! Wenn wir nicht die Möglichkeit haben, Leid zu verarbeiten, dann wird es uns immer weiter beschäftigen.

Wenn wir uns hingegen mit anderen darüber austauschen, uns mit Menschen treffen, die einem zuhören, trösten, aufbauen, dann gelingt das gedankliche Verarbeiten weitaus besser. Suchen Sie das Gespräch. Wenden Sie sich hierzu an eine Vertrauensperson, der Sie Ihre Gedanken und Gefühle anvertrauen können, die Ihnen zuhört. Eine Person, die einen distanzierteren Blick auf die Situation hat, erkennt häufig auch Lösungswege, auf die Sie vielleicht niemals kommen würden.


* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.

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