top of page

Warum Sexualität scheitert und wie sie gerettet werden kann – sexuelle Probleme in der Paartherapie

  • Autorenbild: Christian Asperger
    Christian Asperger
  • 8. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Die Sexualität ist ein zentraler Bestandteil vieler Paarbeziehungen. Sie kann eine Quelle von Intimität und Verbundenheit sein, aber auch Anlass zu Spannungen und Konflikten geben. Aus der Sicht eines systemischen Paartherapeuten stellen sexuelle Probleme oft nur die sichtbare Spitze eines komplexen Zusammenspiels von individuellen und partnerschaftlichen Dynamiken dar.


Dieser Artikel beleuchtet die häufigsten Symptome und Herausforderungen in der Paarsexualität und nutzt Erklärungsmodelle aus der Sexualtherapie, um mögliche Ansätze zur Lösung aufzuzeigen.


Paar liegt abgewandt voneinander im Bett

1) Häufige Symptome sexueller Probleme


Paare, die wegen sexueller Schwierigkeiten in die Therapie kommen, schildern oft eine oder mehrere der folgenden Herausforderungen:


  1. Unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse: Ein Partner wünscht sich häufiger sexuelle Intimität als der andere, was zu Frustration, Ablehnung und Konflikten führen kann.

  2. Erektions- und Orgasmusstörungen: Solche Probleme werden häufig mit Scham und Unsicherheit assoziiert und können die sexuelle Beziehung stark belasten.

  3. Verminderte sexuelle Lust: Ein oder beide Partner erleben einen Rückgang der Libido, oft ohne erkennbare medizinische Ursache.

  4. Sexuelle Langeweile: Die Beziehung fühlt sich routiniert oder uninspiriert an, was zu einem Verlust der Leidenschaft führt.

  5. Schwierigkeiten mit sexueller Kommunikation: Themen wie sexuelle Vorlieben, Fantasien oder Unzufriedenheit werden nicht offen angesprochen.


Paartherapeut Mag. Christian Asperger


2) Spezifische Herausforderungen


Systemische Dynamiken: Probleme in der Sexualität können oft als Ausdruck tieferliegender Beziehungsdynamiken verstanden werden. Beispielsweise kann sexuelle Lustlosigkeit ein unbewusstes Signal für ungelöste Konflikte sein. Wenn ein Partner beispielsweise chronisch überlastet ist und wenig emotionale Unterstützung erfährt, könnte dies die sexuelle Verbindung negativ beeinflussen.


Individuelle Hintergründe: Individuelle Prägungen, wie gesellschaftliche Tabus, traumatische Erfahrungen oder persönliche Unsicherheiten, spielen häufig eine Rolle. Diese Faktoren beeinflussen, wie Menschen ihre Sexualität erleben und ausdrücken.

Lebensphasen: Verschiedene Lebensphasen bringen unterschiedliche Herausforderungen mit sich. Junge Eltern erleben oft einen Rückgang der Intimität durch Erschöpfung und Zeitmangel. In der zweiten Lebenshälfte können hormonelle Veränderungen und die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden neue Dynamiken schaffen.


3) Erklärungsmodelle aus der Sexualtherapie


3.1) Das duale Kontrollmodel


Dieses Modell unterscheidet zwischen sexueller Erregung und Hemmung. Manche Menschen haben eine niedrige Erregungsschwelle, während andere stärkere hemmende Mechanismen besitzen. Paare, die in diesem Bereich nicht harmonieren, können lernen, sich gegenseitig besser zu verstehen und neue Wege der Annäherung zu finden.


Fallbeispiel Unterschiedliche Bedürfnisse 


Anna und Tom, ein Paar Mitte dreißig, kommen in die Therapie, weil Anna sich mehr sexuelle Intimität wünscht, während Tom oft müde oder abgelenkt ist. Im Verlauf der Sitzungen wird deutlich, dass Tom sich durch die beruflichen und familiären Anforderungen überfordert fühlt.


Das duale Kontrollmodell wurde genutzt, um zu analysieren, wie Toms erhöhte Hemmung durch Stress seine sexuelle Erregbarkeit beeinträchtigt. Ein erster Schritt bestand darin, Tom und Anna die Mechanismen von Erregung und Hemmung zu erklären. Gemeinsam wurde herausgearbeitet, dass Toms Stressfaktoren und seine fehlenden Entspannungsmöglichkeiten seine sexuelle Lust stark beeinflussen.


In der Praxis führten sie gezielte Übungen zur Stressreduktion und Achtsamkeit ein, wie progressive Muskelentspannung und Atemübungen. Zudem wurden regelmäßige, unverbindliche Zonen für Intimität geschaffen, bei denen körperliche Nähe ohne Erwartungshaltung im Vordergrund stand. Diese Ansätze halfen Tom, die Hemmung zu verringern, und ermöglichten Anna, sich weniger abgelehnt zu fühlen, da sie die Dynamik besser verstand..


3.2) Das „Circle of Desire“-Modell


Hierbei wird die Wechselwirkung zwischen emotionaler Nähe und sexuellem Begehren untersucht. In langjährigen Beziehungen kann eine starke emotionale Vertrautheit paradoxerweise das sexuelle Verlangen senken. Die Therapie kann helfen, die Balance zwischen Sicherheit und Erregung neu zu definieren.


Fallbeispiel Verlorenes Begehren in langjähriger Beziehung 


Maria und Stefan, seit 20 Jahren verheiratet, berichten, dass ihre Sexualität sich „wie eine Pflichtübung“ anfühlt.


Das „Circle of Desire“-Modell wurde genutzt, um die Balance zwischen emotionaler Nähe und sexuellem Begehren zu beleuchten. Es zeigte sich, dass Maria und Stefan eine sehr starke emotionale Vertrautheit entwickelt hatten, die jedoch das Gefühl der Spannung und des Begehrens unterdrückte. Die therapeutische Arbeit konzentrierte sich darauf, bewusste Distanz und neue Perspektiven zu schaffen, um das Begehren wieder anzufachen.


Eine Übung bestand darin, sich regelmäßig Zeit für individuelle Aktivitäten zu nehmen, um Raum für gegenseitige Neugier zu schaffen. Spielerische Rituale wie das Erstellen einer Wunschliste mit neuen, ungewohnten Aktivitäten im sexuellen und nicht-sexuellen Bereich halfen, die Beziehung zu revitalisieren. Darüber hinaus lernten sie, körperliche Nähe durch nonverbale Kommunikation (z. B. Tänze oder achtsame Berührungen) neu zu erleben, ohne dabei den Fokus auf sexuelle Leistung zu legen. Diese Methoden führten dazu, dass die beiden sich wieder als begehrenswerte Partner wahrnehmen konnten.


3.3) Bindungstheorie


Unsicherheiten in der Bindung – beispielsweise Ängste vor Zurückweisung oder Abhängigkeit – können sich direkt auf die Sexualität auswirken. Die Arbeit an der Bindungssicherheit ist oft ein zentraler Ansatz in der Therapie.


Fallbeispiel Sexuelle Hemmungen nach Trauma


Lena, Anfang vierzig, hat nach einer traumatischen Erfahrung Schwierigkeiten, Intimität zuzulassen. Ihr Partner Paul ist verständnisvoll, fühlt sich aber oft hilflos.


Die Bindungstheorie war der Schlüssel, um Lenas Angst vor Nähe und Pauls Unsicherheiten zu adressieren. Die Therapie begann mit der Schaffung eines sicheren Raums, in dem Lena über ihre Erfahrungen sprechen konnte, ohne befürchten zu müssen, beurteilt zu werden. Gleichzeitig wurde Paul dabei unterstützt, seine eigenen Emotionen zu reflektieren und Strategien zu entwickeln, wie er Lena Sicherheit geben kann, ohne sie zu bedrängen.


Konkret wurde das Konzept der sicheren Basis eingeführt: Paul lernte, wie er durch kleine, wiederholte Gesten wie das Einhalten von Versprechen, geduldiges Zuhören und das Vermeiden von Druck Lenas Vertrauen stärken kann. Für Lena wurden Übungen entwickelt, um die Kontrolle über körperliche Nähe zurückzugewinnen, wie das langsame Erkunden ihrer Komfortzonen durch abgestufte körperliche Berührungen. Die Kombination aus Bindungsarbeit und körperorientierten Übungen half beiden Partnern, ihre Beziehung auf einer neuen, stabileren Grundlage aufzubauen.



Fazit


Probleme in der Sexualität sind oft ein Signal für tieferliegende Themen, die sowohl individuelle als auch partnerschaftliche Dimensionen betreffen. Ein systemischer Ansatz, der die Beziehung als Ganzes betrachtet, kann helfen, diese Herausforderungen zu verstehen und zu bewältigen. Sexualtherapeutische Modelle und praxisnahe Interventionen bieten wertvolle Werkzeuge, um Paare zu unterstützen, ihre sexuelle Beziehung neu zu gestalten und zu vertiefen.


Den ersten Schritt zu machen, ist oft der wichtigste.



* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.

bottom of page