COVID-19 wird wohl das Synonym für "die große Krise". Kein anderes Ereignis des noch jungen 21.Jahrhunderts hatte so weitreichende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Derart einschneidende Veränderungen bringen Unsicherheiten und manchmal auch das Gefühl von Macht- und Hilflosigkeit auf vielen Ebenen. Wie aber schaffen wir es in einer solch komplexen Themenlandschaft zumindest für uns persönlich wieder Orientierung zu finden?
Mein heutiger Blogbeitrag ist eine sehr persönliche Geschichte über meine Erlebnisse, Eindrücke und Gefühle der COVID-19 Wochen in diesem Frühling 2020. Ich denke wie für nahezu alle Menschen dieser Welt wird es auch für mich eine Zeit vor und nach Corona geben. Hier möchte ich aber hauptsächlich auf die Zeit des Übergangs eingehen. Was hat mich in diesen Wochen beschäftigt, welche Gedanken sind mir durch den Kopf gegangen und wie haben sich diese auf meine Empfindungen ausgewirkt.
Es war Freitag der 13. im März 2020 als die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz drastische Einschnitte in unser öffentliches Leben und unsere persönliche Freiheit zum Schutz der gesamten Bevölkerung verlautbarte. Es ging dabei um einen Akt der Solidarität, um einen groß angelegten Aufruf zum Schutz aller Mitbürger vor einer unsichtbaren, todbringenden Krankheit. Auch wenn ich persönlich nicht zur oft zitierten Risikogruppe mit Vorerkrankungen zählte, wurde mir schon etwas bange, was hier wohl noch alles passieren würde. Dazu kamen Sorgen um geliebte Menschen, wie z.B. meinen Vater, der sehr wohl alle Risiken erfüllte. Nach dem ersten Schock der Ausgangsbeschränkungen kam ich relativ rasch wieder in den Handlungsmodus: Was muss für die Zeit zu Hause besorgt werden? Wie kann ich meinen Vater versorgen? Was bedeuten diese Umsände für meine Klienten, meine Praxis, etc.? In dieser Phase ging es mir auch darum, möglichst viele Informationen zu bekommen, um für mich einen guten Plan entwickeln zu können. Wie in jedem guten Krisenmanagement war es mein Ziel mit den entsprechenden Handlungen ein Stück mehr Sicherheit zu bekommen. Doch gerade in den folgenden Wochen sollte das Konstrukt der gefühlten Sicherheit immer wieder auf die Probe gestellt werden.
Es gelang mir nach den ersten Tagen überraschend gut mich auf die neue Situation einzulassen. Und das, obwohl es signifikante Änderungen zu meinen ursprünglichen Plänen gab. Unsere lang geplante USA Reise mussten abgesagt werden, meine Beschäftigung an der Psychotherapeutischen Tagesklinik in Eisenstadt endete abrupt, ich musste meine Praxis schließen und meine lang geplanten Weiterbildungsseminare fielen der Absagewelle ebenfalls zum Opfer. Kurz gesagt, ich wurde relativ schnell zum Nichtstun gezwungen. Dies konnte und wollte ich so natürlich nicht akzeptieren. So beschäftigte ich mich in den ersten Wochen damit, jene Dinge anzugehen, die ich in den eigenen vier Wänden erledigen konnte. Putzen, waschen, bügeln, kochen, backen, ausmisten, ordnen, dokumentieren, schreiben, lesen, etc.
Nach und nach merkte ich auch immer mehr, mit welchen Herausforderungen Menschen in meinem engeren Umfeld in dieser schwierigen Zeit zu kämpfen hatten. Da galt es plötzlich Kinder zu Hause zu unterrichten oder mit einer drohenden Arbeitslosigkeit oder einem existenzbedrohlichen Einnahmeausfall zurechtzukommen. Lang geplante Familienfeste wie Taufen oder Hochzeiten konnten nicht stattfinden oder - noch schlimmer - Kranke durften nicht mehr besucht werden und Verstorbene mussten gänzlich ohne Zeremonie im ganz kleinen Kreis von maximal 5 Personen verabschiedet werden. Da war sie also, die dunkle und äußerst bedrohliche Seite der COVID-19 Epidemie. Nicht nur in China, Italien oder Spanien, sondern ganz, ganz nah in meinem persönlichen Umfeld.
Mit zunehmender Dauer der Einschränkungen und diesen persönlichen Eindrücken merkte auch ich wie meine Kräfte schwanden. Tagtäglich verfolgte ich diverse Berichterstattungen. Was weiß man Neues über dieses Virus, das unseren gesamten Globus lahmlegen konnte? Wie entwickeln sich die diversen Kennzahlen, anhand derer unsere Regierung ihre Maßnahmen evaluiert? Brauchen wir nun einen Impfstoff oder die immer wieder zitierte Herdenimmunität um jemals wieder zu einem normalen Leben zurückkehren zu können? Virologen, Epidemiologen, Statistiker waren die neuen Experten der Medien, auf deren Aussagen die ganze Welt hörte. Dazu gab es immer wieder politische Aufrufe zum Durchhalten, Zusammenhalten und die Zusage finanzieller Unterstützungen in noch nie dagewesenem Ausmaß. Es ging darum, Ruhe zu bewahren und trotz aller Umstände auch Zuversicht auszustrahlen.
"Wir schaffen das schon."
Auch Psychologen und Psychotherapeuten meldeten sich in unterschiedlichen Beiträgen zu Wort. Wir hörten, wie wichtig es wäre in Zeiten von Home Office & Home Schooling weiter eine Struktur zu halten, fixe Zeiten für Arbeit und Aufgaben einzuplanen oder trotz der Ausgangsbeschränkungen für ausreichend Bewegung zu sorgen. Online-Yoga Kurse hielten auch in meinem Wohnzimmer Einzug. Diverse Do-it-yourself YouTube Tutorials florierten, nicht zuletzt auch durch den verpflichtenden Mund-Nasen-Schutz in Supermärkten oder öffentlichen Verkehrsmitteln.
Auch ich stellte mir die Frage, welchen Beitrag kann ich in dieser Zeit der Veränderung, geprägt von Unsicherheiten oder manchmal auch einer gefühlten Macht- und Hilflosigkeit, leisten. Neben einem entsprechenden Angebot in meiner Praxis vor Ort, der Ergänzung von Video-Telefonie als neues Format, soll auch die nachstehende Übung ein hilfreiches Instrument für Sie sein. Neben Anleitung finden sie unten dazu auch ein kurzes Video:
Fünf kleine Fragen zur Orientierung
Die folgenden Fragen sind einfache Instrumente, um sich in professionellen und privaten Lebensbereichen und Situationen orientieren und urteils- bzw. handlungsfähig werden zu können.
1. Wo bin ich?
Diese Frage bezieht sich auf die eigene Lage. Was ist meine aktuelle örtliche, soziale, psychische und mentale Situation? Sie fordert uns dazu heraus, aufzuwachen und genau hinzuhören und hinzusehen, was da alles ist und wie es zusammenhängt.
2. Wonach ist mir?
Die nächste Frage spricht unsere grundlegenden Bedürfnisse und Impulse an. In diesem sehr einfachen Wollen oder Nicht-Wollen wird eine Lebenskraft erfahrbar, die auch zu Veränderungen motivieren kann. Wichtig dabei, es müssen nicht unbedingt große Lebensentscheidungen sein. Es geht vielleicht nur um kleine Dinge des Lebens, die unsere innersten Bedürfnisse ansprechen.
3. Wer oder was redet da alles mit?
Die dritte Frage beschäftigt sich mit dem inneren und äußeren Gerede, was uns im Zusammenhang mit dem jeweiligen Thema beschäftigt. Sie macht manchmal deutlich, weshalb es nicht möglich ist, den eigentlichen Impulsen sofort zu folgen. Dies können gutgemeinte Ratschläge aus unserem sozialen Umfeld oder auch innere Haltungen sein.
4. Wem oder was vertraue ich?
An vierter Stelle steht die Frage nach unseren äußeren und auch inneren Ressourcen. Dies können zum Beispiel für uns wichtige Menschen, eigene Erfahrungen oder gemeinsame Erlebnisse sein. Es geht dabei im Kern um für uns individuell ganz wichtige Ressourcen, die uns halten und behüten, denen wir fraglos vertrauen.
5. Was ergibt sich daraus?
Die letzte Frage schließt den Orientierungsprozess ab und zieht daraus Konsequenzen auf der Ebene des konkreten Entscheides und Handelns.
Die Übung stellt natürlich nur ein Angebot dar. Vielleicht kann diese auch für Sie hilfreich sein in Zeiten der Unsicherheit wieder eine erste Orientierung in Ihr Leben zu bringen. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen beim Ausprobieren und freue mich über positive Rückmeldungen.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.
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