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Die 10 Prinzipien der systemischen Psychotherapie: Ein Leitfaden

  • Autorenbild: Christian Asperger
    Christian Asperger
  • 29. Apr.
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 11 Stunden

Die systemische Psychotherapie versteht psychische Probleme nicht als isoliertes Phänomen, sondern als Ausdruck von Interaktionen in Beziehungssystemen – Familie, Paar, Team oder Organisation. Indem sie zirkuläre Zusammenhänge, Ressourcen und Bedeutungen in den Blick nimmt, eröffnet sie nachhaltige Veränderungswege jenseits reiner Symptombekämpfung.


In diesem Artikel lernen Sie die 10 Prinzipien systemische Psychotherapie kennen und erfahren, wie Sie mit Methoden, Wirkmechanismen und konkreten Praxisbeispielen wirkungsvoll arbeiten.





Systembrett mit Figuren

Was Sie hier erfahren können


  • Warum die wertschätzende Grundhaltung das Fundament jeder Intervention bildet

  • Wie Sie durch Transparenz und Kollaboration eine tragfähige therapeutische Allianz schaffen

  • Auf welchen Fragen-Techniken das zirkuläre Verständnis von Systemen beruht

  • Wie Hypothesenarbeit den roten Faden im Prozess liefert

  • Womit Sie Ressourcen aktivieren und konstruktneutral arbeiten

  • Welche bewährten Tools – Genogramm, Skalen, systemische Aufstellungen – Ihnen zur Verfügung stehen

  • Wie Sie Settings flexibel wählen: Einzel-, Paar-, Familien- oder Teamsitzung






Inhaltsverzeichnis



1. Einführung in die systemische Psychotherapie


In der systemischen Psychotherapie steht der Mensch nicht allein im Fokus – sondern immer in Verbindung mit den Beziehungen und Systemen, die ihn umgeben. Probleme werden hier nicht als Fehler oder Schwächen des Einzelnen gesehen, sondern als Ausdruck von Mustern im Miteinander.


Die Wurzeln dieser Therapieform liegen im Konstruktivismus: Jeder Mensch erschafft seine eigene Sicht auf die Welt, geprägt von Erfahrungen, Erwartungen und Beziehungen. Deshalb geht es in der systemischen Therapie nicht nur darum, Symptome zu reduzieren. Viel wichtiger ist es, neue Wege im Zusammenleben zu finden, eingefahrene Kommunikationsmuster zu verändern und Räume für Entwicklung zu öffnen.


Mit einer Haltung voller Wertschätzung und Neugier unterstützt die systemische Therapie Menschen dabei, ihre eigenen Stärken zu entdecken und gemeinsam nachhaltige Veränderungen anzustoßen.


Kind auf Couch mit Mutter


2. Die 10 Prinzipien systemische Psychotherapie


  1. Respektvolle Neugier

    In der systemischen Therapie ist respektvolle Neugier eine zentrale Haltung: Therapeut:innen begegnen ihren Klient:innen ohne voreilige Interpretationen oder Urteile. Jede Aussage wird als wertvoller Hinweis auf die individuelle Sichtweise verstanden. So entsteht Raum für echte Begegnung und ein tieferes Verständnis der einzigartigen Lebenswelt der Klient:innen. Statt zu hinterfragen oder zu bewerten, laden Therapeut:innen ein, die Bedeutung von Gedanken, Gefühlen und Handlungen gemeinsam zu erkunden – etwa durch Fragen wie: „Was bedeutet dieses Verhalten für Sie?“


  2. Ressourcenorientierung

    Die systemische Therapie richtet den Blick konsequent auf Stärken, Fähigkeiten und bisherige Erfolge der Klient:innen. Statt sich auf Defizite oder Probleme zu fixieren, wird gezielt nach Momenten gesucht, in denen das Problem weniger stark war oder erfolgreich bewältigt wurde. Diese ressourcenorientierte Haltung stärkt Selbstwirksamkeit und eröffnet neue Handlungsräume. Fragen wie „Wann war das Problem zuletzt weniger stark?“ helfen, Selbstvertrauen aufzubauen und Entwicklungspotenziale zu aktivieren.


  3. Kollaboration

    Systemische Therapie versteht sich als gemeinsamer Prozess zwischen Therapeut:in und Klient:in. Beide sind Co-Forscher:innen, die gemeinsam Hypothesen entwickeln, Ziele formulieren und Interventionen gestalten. Klient:innen werden aktiv in alle Schritte einbezogen, wodurch Motivation und Eigenverantwortung gestärkt werden. Ein Beispiel für kollaboratives Arbeiten ist die gemeinsame Zielsetzung zu Beginn einer Sitzung: „Woran merken wir am Ende der Stunde, dass sich etwas verändert hat?“


  4. Transparenz

    Offenheit in der therapeutischen Arbeit ist ein wesentliches Prinzip der systemischen Therapie. Therapeut:innen erklären ihr methodisches Vorgehen, ihre Überlegungen und Hypothesen transparent. So entstehen Vertrauen, Klarheit und ein partnerschaftlicher Dialog auf Augenhöhe. Vor Interventionen wie einer Aufstellung wird beispielsweise der Ablauf genau erläutert, damit Klient:innen verstehen, worum es geht, was sie erwartet und wie sie den Prozess aktiv mitgestalten können.


  5. Zirkuläres Fragen

    Zirkuläres Fragen ist eine Schlüsselmethode, um Wechselwirkungen innerhalb von Beziehungen sichtbar zu machen. Statt lineare Kausalitäten zu suchen, erforschen Therapeut:innen die unterschiedlichen Perspektiven und wechselseitigen Einflüsse in einem System. Fragen wie „Wie glauben Sie, fühlt sich Ihr Partner, wenn Sie sich zurückziehen?“ helfen, die subjektiven Erlebenswelten aller Beteiligten zu erfassen und neue Sichtweisen zu entwickeln.


  6. Hypothesenarbeit

    In der systemischen Therapie werden Hypothesen als vorläufige Arbeitshypothesen genutzt – nie als fixe Diagnosen. Sie dienen dazu, Beobachtungen und Zusammenhänge zu ordnen und gezielt Fragen oder Interventionen abzuleiten. Hypothesen werden laufend im Dialog mit den Klient:innen geprüft und angepasst. Eine Therapeutin könnte beispielsweise notieren: „Vielleicht fühlt sich X nicht gesehen, wenn Y schweigt“, und diese Hypothese in der Sitzung gemeinsam reflektieren und weiterentwickeln.


  7. Experimentelles Vorgehen

    Neue Erfahrungen sind oft der Schlüssel zur Veränderung. Deshalb setzt die systemische Therapie auf kleine, alltagsnahe Experimente, die neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Diese Experimente werden gemeinsam vereinbart und reflektiert. Ein typisches Beispiel: Ein Paar wird eingeladen, eine Woche lang jeden Abend ein kleines Lob auszusprechen und anschließend zu beobachten, welche Auswirkungen dies auf ihre Beziehung hat.


  8. Konstruktneutralität

    Systemische Therapeut:innen vermeiden moralische Bewertungen und nehmen eine konstruktneutrale Haltung ein. Sie bewerten weder Verhalten noch Sichtweisen als „richtig“ oder „falsch“, sondern erforschen neugierig, wie die jeweiligen Realitätskonstruktionen entstanden sind. Statt kritischer Fragen wie „Warum verhalten Sie sich so destruktiv?“ werden offene Fragen gestellt, etwa: „Wie sehen Sie diese Situation?“ So bleibt der Dialog offen und urteilsfrei.


  9. Vielfältige Settings

    Die systemische Therapie nutzt flexibel verschiedene Settings, je nach Thema und Bedarf der Klient:innen. Einzel-, Paar-, Familien- oder Gruppensettings bieten unterschiedliche Perspektiven auf Beziehungsmuster und eröffnen jeweils eigene Möglichkeiten für Veränderung. Ein Beispiel ist ein Führungskräfte-Coaching im Team-Setting, bei dem verborgene Dynamiken und Rollenkonflikte sichtbar und bearbeitbar werden.


  10. Nachhaltigkeit & Reflexion

    Nachhaltige Veränderung braucht regelmäßige Reflexion und Anpassung. In der systemischen Therapie wird deshalb immer wieder überprüft, ob die angestrebten Ziele noch stimmig sind und welche Interventionen besonders hilfreich waren. Am Ende jeder Sitzung kann gemeinsam reflektiert werden: „Was hat Ihnen heute besonders geholfen? Was möchten Sie in der nächsten Sitzung weiter vertiefen?“ So wird der therapeutische Prozess bewusst gestaltet und langfristige Wirksamkeit unterstützt.


Psychologe Christian Asperger vor Systembrett


3. Typische Methoden und Tools der systemischen Therapie


Die systemische Therapie nutzt eine Vielzahl kreativer und strukturierter Methoden, um Beziehungsmuster sichtbar zu machen und Veränderungsprozesse anzustoßen. Im Folgenden finden Sie einen Auszug der gängigsten Methoden und Tools, die häufig in der Praxis Anwendung finden:


  • Genogramm

    Das Genogramm ist eine visuelle Skizze familiärer Beziehungen über mindestens drei Generationen. Es hilft dabei, wiederkehrende Muster wie Trennungen, Krankheiten oder bestimmte Rollen innerhalb der Familie sichtbar zu machen. In der Anwendung zeichnet die Familie gemeinsam einen Stammbaum, während die Therapeut:in gezielt nach bedeutsamen Ereignissen, Beziehungskonstellationen oder prägenden Lebensereignissen fragt.


  • Systemische Aufstellungen

    Systemische Aufstellungen machen unbewusste Dynamiken innerhalb eines Systems erlebbar, indem Personen, Stühle oder Figuren im Raum als Repräsentant:innen für Mitglieder des Systems aufgestellt werden. Der Klient oder die Klientin positioniert diese Elemente intuitiv und beobachtet anschließend Gefühle, Impulse und Körperreaktionen, die Hinweise auf verdeckte Beziehungsmuster geben können.


  • Skalierungsfragen

    Skalierungsfragen helfen, subjektive Gefühle, Fortschritte oder Ziele zu konkretisieren und messbar zu machen. Auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten Klient:innen beispielsweise ihre Zuversicht, Belastung oder Zielnähe. Typische Anwendung: „Wo stehen Sie heute auf der Skala Ihrer Zuversicht?“ – Diese Methode unterstützt die Reflexion kleiner Veränderungen und motiviert zur nächsten Entwicklungsetappe.


  • Zukunftsprojektionen

    Zukunftsprojektionen laden Klient:innen ein, ein lebendiges Bild ihrer gewünschten Zukunft zu entwerfen, um neue Motivation und Handlungsenergie freizusetzen. Durch geführte Imaginationen wie „Stellen Sie sich vor, in sechs Monaten… Was sehen, fühlen, hören Sie?“ wird ein konkretes Zukunftsbild entwickelt, das als innerer Kompass für Veränderung dient und realistische nächste Schritte sichtbar macht.





Neben den oben genannten kommen in der systemischen Therapie noch viele weitere wirkungsvolle Ansätze zum Einsatz, darunter:


  • Reflecting Teams (gemeinsame Reflexion in einer beobachtenden Gruppe)

  • Zirkuläre Fragen (gezielte Erforschung von Perspektiven im System)

  • Wunderfrage (Entwicklung von Lösungsvorstellungen anhand eines idealen Zustands)

  • Externalisieren von Problemen (Trennung von Person und Problem zur Entlastung)

  • Reframing (neues Deuten von Ereignissen oder Verhaltensweisen)


Jede Methode wird dabei individuell auf die Bedürfnisse der Klient:innen angepasst und trägt dazu bei, Veränderungsprozesse in Gang zu setzen.



Band als Symbol für Grenze

4. Wirkungsmechanismen und Praxisbeispiele


Systemische Psychotherapie versteht psychische Symptome nicht isoliert, sondern im Kontext zwischenmenschlicher Beziehungen. Veränderung gelingt, wenn Menschen neue Sichtweisen einnehmen, eigene Ressourcen entdecken und alte Muster hinterfragen. Drei zentrale Wirkmechanismen dabei sind:


  1. Ressourcenaktivierung


Ein zentrales Prinzip systemischer Therapie ist es, die oft verdeckten Stärken und Fähigkeiten der Klient:innen sichtbar zu machen. Durch das Erkennen und Benennen dieser Ressourcen entsteht ein Gefühl von Selbstwirksamkeit – das Vertrauen, Herausforderungen mit den eigenen Mitteln bewältigen zu können.



Beispiel aus der Praxis:

Eine Klientin mit wiederkehrenden Erschöpfungssymptomen berichtet, dass sie „nie etwas zu Ende bringt“. Im Gespräch wird deutlich, dass sie in früheren Lebensphasen viele Projekte mit Kreativität und Ausdauer realisiert hat – von einer Selbstständigkeit bis zur Pflege eines Angehörigen. Das gemeinsame Rekonstruieren dieser Erfahrungen stärkt ihr Zutrauen in die eigene Handlungsfähigkeit und ermöglicht einen neuen Blick auf aktuelle Anforderungen.


  1. Musterunterbrechung


Psychische Belastungen sind häufig in festgefahrenen Kommunikations- oder Verhaltensmustern verankert. Durch Techniken wie zirkuläres Fragen, paradoxe Interventionen oder kreative Experimente wird der gewohnte Ablauf unterbrochen. Solche Impulse können blockierende Rückkopplungsschleifen auflösen – und damit neue Dynamiken im System anstoßen.


Beispiel aus der Praxis:

Ein Vater beklagt, dass sein Sohn ständig provoziert, worauf er laut wird – was wiederum zu Rückzug und Schweigen beim Sohn führt. Durch ein bewusstes Rollenspiel wechselt der Vater in die Perspektive seines Sohnes und erlebt die Wirkung der eigenen Reaktion. Anschließend probiert er im Alltag gezielt ein „Nicht-Reagieren“ aus – mit erstaunlich deeskalierender Wirkung.


  1. Perspektivwechsel


Systemische Fragen sind darauf ausgerichtet, die Sicht auf Probleme zu erweitern. Wer beginnt, eigene Themen aus der Sicht anderer zu betrachten – sei es der Partner, die Familie oder das berufliche Umfeld – entdeckt oft überraschende Bedeutungen und neue Handlungsspielräume.


Beispiel aus der Praxis:

Eine junge Frau fühlt sich im Team übergangen und zieht sich zunehmend zurück. Durch Fragen wie „Was würde Ihre Kollegin sagen, warum sie Sie nicht einbezieht?“ oder „Was wäre anders, wenn Sie plötzlich im Mittelpunkt stünden?“ entsteht ein innerer Dialog, der nicht nur die Sicht auf das Team verändert, sondern auch den eigenen Anteil in den sozialen Dynamiken beleuchtet.


Diese Mechanismen zeigen: Veränderung muss nicht erkämpft werden – sie kann entstehen, wenn neue Sichtweisen, ein anderer Umgang mit sich selbst und ein bewusstes Innehalten Raum bekommen.


5. Fazit


Die 10 Prinzipien systemische Psychotherapie verknüpfen Haltung, Konzept und Methode zu einem flexiblen, wirkungsvollen Vorgehen. Durch respektvolle Neugier, Ressourcenorientierung und zirkuläres Fragen schaffen Sie die Basis für experimentelle Interventionen, die in unterschiedlichen Settings realisiert werden können.


Tools wie Genogramm, Aufstellungen und Skalierungsfragen dienen als Hebel, um Systemdynamiken zu verstehen und zu verändern. Mit nachhaltiger Reflexion verankern Sie Erfolge langfristig. So begleiten Sie Ihre Klient:innen kompetent auf dem Weg zu neuen Perspektiven und belastbaren Lösungen.





Illustration Mann auf Treppe der Entwicklung

6. Mein Therapie-Ansatz kann helfen


Paartherapeut 1020 Wien

In meiner Rolle als Psychotherapeut integriere ich meine langjährige Erfahrung aus meiner Praxis als Psychotherapeut sowie als Führungskraft in Konzernen mit einer soliden Ausbildung in systemischer Psychotherapie und Coaching. Mein Ansatz basiert auf dem Verständnis der Menschen im Kontext ihrer sozialen Beziehungen und der Konzentration auf das "Wie" gegenwärtiger Situationen. Ich betrachte Klienten als Experten ihrer eigenen Fälle und vermeide es, Themen zu vertiefen, die sie nicht aktiv einbringen.


Neben meiner beruflichen Tätigkeit engagiere ich mich in kontinuierlichen Weiterbildungen und genieße meine Freizeit mit meiner Familie und Outdoor-Aktivitäten. Meine Qualifikationen umfassen systemische Psychotherapie, Paartherapie, hundegestützte Therapie, EMDR, systemisches Coaching und ein Studium der Betriebswirtschaft.



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